Pressemitteilung 18.11.2010/1


Kirche schont den überführten Sexualstraftäter und schweigt sich zu dem strukturellen Vertuschungsdickicht vollständig aus

-         persönliche Stellungnahme eines Mitglieds der Betroffeninitiative Missbrauch in Ahrensburg zur Meldung der Nordelbischen Kirche von heute ("Ahrensburger Pastor beantragt Entlassung - Disziplinarverfahren wird beendet" (siehe Anlage)

 

[Der Vorstand des Verein Missbrauch in Ahrensburg e.V. unterstützt diese Mitteilung vollumfänglich.]

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Meldung der Nordelbischen Kirche bestätigt das Bild, dass sie in den letzten Monaten immer wieder geliefert hat: Offizielle Betroffenheitsrhetorik – keine ernsthafte Aufklärung und folglich keine angemessenen Konsequenzen für die Täter und Vertuscher.

 

Die Kirche räumt „sexuelle Übergriffe“ durch einen Pastor im Ruhestand ein. Unter sexuellen Übergriffen versteht man im Allgemeinen, wenn der Chef der Sekretärin auf den Po klopft und sie verbal belästigt. Pastor K. hingegen, mein damaliger Stiefvater hat mindestens 50-60 Kinder und Jugendliche massiv sexuell missbraucht, viele über Jahre hinweg. Ein erheblicher Teil von ihnen leidet noch heute so darunter, dass ihnen ein normales Leben unmöglich ist; sie wurden krank, beziehungsgestört und arbeitsunfähig. Nicht wenige geben das erfahrene Unrecht an andere Unschuldige weiter. Einige extrem Betroffene sind an den mittelbaren Folgen des Missbrauchs gestorben, ich selber habe auf diese Weise zwei Brüder verloren. Ich frage: Warum kann die Kirche die Taten nicht eindeutig als das benennen, was sie sind: als sexuellen Missbrauch?

 

Immerhin kommt die Kirche zu dem Ergebnis, dass die Untaten des Ruhestandsgeistlichen eine Entfernung aus dem Dienst rechtfertigen.

 

Der Täter wurde im kirchlichen Ermittlungsverfahren mit den Vorwürfe konfrontiert, nahm aber keine Stellung und übernimmt bis heute keine Verantwortung für seine Taten – weder gegenüber seinem Arbeitgeber noch gegenüber den zahlreichen Opfern. Dass er angesichts der erdrückenden Beweislast jetzt von seinem Recht Gebrauch macht, freiwillig aus dem Dienst auszuscheiden, ist faktische das Eingeständnis der Taten. Aber selbst bei seinem Rückzug stellt er noch Bedingungen: er scheidet nicht etwa sofort aus, sondern erst zum Ende des Jahres. Die eilfertige Kirchenleitung beschließt aber, ihn sofort zu entlasten und das Verfahren gegen ihn mit sofortiger Wirkung einzustellen. Vielleicht erreicht er mit der längeren Dienstzeit eine höhere Altersversorgung, als wenn er sofort ausscheiden würde. – Aber Moment mal, erklärte die Kirche nicht gerade, er verliere seinen Anspruch auf Versorgung?

 

Verliert Pastor K. eigentlich wirklich seine Altersversorgung (im allgemeinen Sinne) oder werden die Versorgungsleistungen nur umetikettiert? Das wäre der Fall, wenn er nachversichert würde und statt der bisherigen „Pension“ nunmehr eine nahezu gleichhohe „Rente“ bekäme. Dabei könnte er Erziehungszeiten von minderjährigen Kindern anrechnen lassen, um seine Versorgung zu verbessern. Sarkastisch könnte man sagen: So nutzen ihm die missbrauchten Kinder auch heute noch und können sich nicht dagegen wehren.

 

Ich fordere die Kirche auf, die bisherigen Ermittlungsergebnisse unmittelbar an die Disziplinarkammer weiterzuleiten und dort kurzfristig darüber zu entscheiden. Wenn die Taten erklärtermaßen die Entfernung aus dem Dienst rechtfertigen, dann muss dies auch sofort geschehen!

 

Was hat die Kirche eigentlich wirklich für die Opfer getan?

 

Wir mussten uns beschimpfen und diffamieren lassen („das sind alles nur Geschichten…“, „wenn die Medien das nicht aufgegriffen hätten, wäre das alles längst vergessen“).

 

Tatsächlich haben sich einige von uns nicht gescheut, mit ihrem Namen an die Öffentlichkeit zu gehen, Aufklärung einzufordern und auf ewig damit gegoogelt zu werden. Und was hat das Ganze gebracht? – Nichts!

 

Die Kirche geht nun zur allgemeinen Verwaltung über und alles wird schön ordentlich und bürokratisch abgelegt. Kein einziger der namentlich bekannten Täter, Mittäter und Vertuscher hat sich zu seinen Verfehlungen bekannt und entschuldigt. Man kann am Ende meinen, die Kirche und Kohl haben das so abgesprochen, dass der „Vorgang“ zum Jahresende zu den Akten gelegt werden soll. Und die drei Kirchen Hamburg/Schleswig-Holstein/Mecklenburg feiern 2011 fröhlich und unbelastet ihren Zusammenschluss zur neu auferstandenen Nordkirche.

 

Mit freundlichen Grüßen

Stephan Kohn